MAX VAN DORSTEN: nachts arbeiten
26. August - 15. September 2022
In den Werken der Serie "nachts arbeiten" von Max van Dorsten ist bereits fraglich, ob sie auf Anhieb überhaupt als Fotografien erkannt werden. Auch angesichts der Originale wird mancher sich zunächst womöglich an äußerst fein gemalte fotorealistische Bilder erinnert fühlen. Schon die Rahmung der klein- bis mittelformatigen Werke mit den verhältnismäßig breiten und auch tiefen Holzleisten trägt zu ihrem bildmäßigen Charakter bei und schafft eine eher für traditionelle Gemälde typische Distanz zur Wand wie auch zu uns als Betrachter:innen. Und doch handelt es sich selbstverständlich bei sämtlichen der ausgestellten Werke aus der Serie „nachts arbeiten“ um Ausdrucke von digitalen Fotodateien auf schwerem Papier, welches als Trägermedium unter den satten Farbpigmenten noch subkutan spürbar bleibt. Diese gleichsam haptische Qualität der Farbpigmente ist wichtig für die besondere, nahezu malerische Präsenz der Arbeiten von Max van Dorsten, die er bewusst betonen und auch nicht durch ein schützendes Glas vor der Oberfläche des Gedruckten mindern möchte, obwohl diese pigmentierten Oberflächen extrem sensibel sind gegenüber Berührungen und äußeren Einflüssen. Anders als bei analogen Fotografien hat man es bei den Werken von Max van Dorsten anstelle von glänzenden Abzügen mit eher samtig wirkenden Oberflächen zu tun, die nicht vollends hinter der Illusion der fotografierten Motive verschwinden.
Insbesondere in den Motiven dieser Bilder aber steckt zweifellos das Verbindende und auch das auf Anhieb Faszinierende der Serie, die ausschließlich nächtliche Landschaftsausschnitte und Architekturen ohne Menschen zeigt. Dabei richtet sich der Blick von Max van Dorsten auf nichts Besonderes oder gar von sich aus Spektakuläres. Seine Fotografien, die sich den mit der Kamera nachts aufgesuchten Motive verdanken, erfassen anstelle von Ereignissen und anstelle von berühmten Denkmälern das mehr oder weniger banale Aussehen gewöhnlicher Alltagsbauten der nächsten Umgebung, aber eben im Dunkel, was ja das Gewöhnliche des fotografierten Motivs von vornherein wortwörtlich im ungewöhnlichen Licht erscheinen lässt, das Vertraute unvertraut macht, indem es dieses in feinsten Übergängen zwischen Licht und Dunkel zeigt. Es sind öfter einzelne innerbildliche Lichtquellen und die durch sie bedingten Lichtinseln, in welchem das Licht des von der Kamera Erfassten kulminiert oder noch genauer: das die Sichtbarkeit des Fotografierten garantiert. Indem das Fotografierte stets überwiegend dunkel und auch undeutlich und vage bleibt, erscheint das jeweilige Motiv stets wie im Wechsel zwischen Hervortreten aus dem Dunkel und seinem potentiellen verschwinden, im Übergang zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit.
Wie immer sich die Bilder der Serie „nachts arbeiten“ auch im Einzelnen voneinander unterscheiden, ob sich die Phantasie des Künstlers etwa auf ein einzelnes schräg geöffnetes Fenster innerhalb eines Wandverlaufs richtet, der hier nahezu das gesamte Bildformat einnimmt oder auf die leeren Flächen einer Parkhausauffahrt, so besitzen sie doch alle dieselbe strenge menschenleere Ordnung, und damit etwas bewusst Gemachtes oder auch genau Inszeniertes, das über das in der Wirklichkeit Vorfindbare weit hinausgeht. Bei aller fotografischen Detailgenauigkeit und bei aller Plausibilität, welche die Nachtszenen sowohl im Einzelnen wie insgesamt auszeichnen, erweisen sich die fotografischen Bilder von Max van Dorsten bei längerer Betrachtung doch zunehmend als visuelle Konstruktionen, für die seine nachts gesammelten Digitalfotografien nur das Ausgangsmaterial sind. Unweigerlich beginnt man sich angesichts der fotografischen Bildresultate der Serie zu fragen, ob es diese Orte in der Wirklichkeit tatsächlich so gegeben hat oder ob der Künstler sie in ihrer spezifischen Farbigkeit und der offensichtlichen Betonung der Lichtsituation mit der Kamera weniger objektiv dokumentiert als vielmehr höchst subjektiv manipuliert und geradezu neu erfunden hat.
Tatsächlich verdanken sich die Bilder jeweils einem komplexen Arbeitsprozess am Computer, der von der Tilgung von Details über Verwischungen von Übergängen oder Farbveränderungen bis hin zur Einfügung von Gegenständen oder sogar der Kombination mehrerer Aufnahmen reicht. Vor den fotografischen Bildern der Serie „nachts arbeiten“ erweist sich, das es Max van Dorsten nicht als deren Aufgabe betrachtet, die Realität gleichsam passiv als Abdruck oder Spur und wie nicht von Menschenhand gemacht so wiederzugeben, wie sie ist, sondern sie mit Hilfe des in der nächtlichen Wirklichkeit vorgefundenen fotografierten Materials aktiv als eine Realität neu so zu inszenieren, wie sie auch sein könnte und die – einem realistischen Bühnenbild vergleichbar – diejenige Plausibilität besitzt, welche uns als Zuschauer im Theater das Bühnenbild als Realitätsersatz nehmen lassen, ohne zu vergessen, dass dieses etwas anderes ist als der Ort, den es dazustellen scheint. Kein Zweifel, dass jener Raum eines Dazwischen oder jener Raum eines sowohl-als-auch identisch ist mit der Handlungsarmut und der unverwechselbaren Stille, welche die malerischen Fotobilder der Serie von Max van Dorsten insgesamt auszeichnen.
Max van Dorsten studiert seit 2016 an der Kunstakademie Münster, seit 2017 in der Malereiklasse von Prof. Cornelius Völker. Er wohnt und arbeitet in Münster und Duisburg.
Text: Ulrich Fernkorn
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