TIM CIERPISZEWSKI:
AGAINST INTERPRETATION
17. Mai - 18. Juli 2013
Ich betrete einen Raum, der für mich nichts Ungewöhnliches hat und mir sogar vertraut sein kann. Es kann sich um ein Zimmer in einem Mietshaus handeln, um den weiten Treppenflur eines öffentlichen Gebäudes, die Ausstellungshalle eines Museums. An einer seiner Seiten aber geht dieser Raum in den Wellen und im Rhythmus des Lichts auf. An einer seiner Seiten ist dieser Raum optisches Ereignis.
Tim Cierpiszewskis Arbeiten sind in ganz besonderer und direkter Weise den gebauten Räumen und einem ihrer wesentlichsten Elemente zugetan: Der Wand. In den meisten Fällen wird die Farbe direkt auf eine Wandfläche aufgebracht. Die jeweils gewählte Wand wird so in ihrer Gesamtheit zum Bild und gibt ihm Maß und Begrenzung vor. Weder kommen Leinwand oder Papier zum Einsatz noch ist die Wand lediglich Vehikel der Hängung oder Rahmung.
Hier sieht man bereits, dass Tim Cierpiszewski ein enges und aktives Verhältnis zu den Räumen eingeht in denen er arbeitet: Seine Arbeiten werden Teil der Architektur, auch Teil des Interieurs. Allerdings werden sie dies nur für eine relativ kurze Zeitspanne, nämlich für die Dauer der Ausstellung. Obwohl sich Tim Cierpiszewski in besonderer Weise den gebauten, durch Beton und Mauerwerk gestalteten Räumen verschrieben hat, lassen sich in seinen Werken zwei ästhetische Kontrapunkte gegenüber der Architektur ausmachen. Es handelt sich um zwei Momente, die sich, trotz aller Nähe zur Architektur, grundsätzlich von ihr losmachen: die reine Fläche und die Kurzlebigkeit. Die Kunst nutzt und bearbeitet nur die beiden Dimensionen der Fläche und sie bleibt nur für kurze Zeit und nicht über die lange Dauer des eigentlichen Bauwerks.
Was geschieht hier? Was ändert sich, wenn ein Künstler auf diese Art und Weise einen Raum – sei es Zimmer, Treppenflur oder Halle – bearbeitet? Einer der bemerkenswertesten und stärksten Eindrücke entsteht dadurch, dass unauffällige, profane und uns grundsätzlich vertraute Raumeindrücke in starke Bewegung geraten. Die einfache Wandfläche, also unser stetiges vis-à-vis, gewinnt plötzlich eine enorme Eigenständigkeit und Beweglichkeit. Dies geschieht zum einen durch die stark kontrastierende Farbwahl, den leuchtenden Gegensatz des Schwarz-Weiß. Zum anderen dadurch, dass diese Schwarz-Weiß-Geometrien selbst räumliche Strukturen und Eindrücke eröffnen, die einen neuen Raum und neue Fluchten andeuten.
Tim Cierpiszewski ist sich der langen und facettenreichen Geschichte des Wand- oder Dekorbildes bewusst, denn nur so konnte es ihm gelingen, sich von ihr abzusetzen und dem Verhältnis von Architektur und Malerei diesen neuen Aspekt abzugewinnen. Er definiert dieses Verhältnis, indem er es direkt und unmittelbar gestaltet: Die architektonische Ausgangssituation wird durch die Malerei (die Kräfte und Kontraste des Lichts) geöffnet; sie wird regelrecht aufgebrochen und gibt neue Perspektiven frei. Wie funktional und vertraut die Umgebung auch sein mag, sie wird einer Kraft ausgesetzt, die nur die Kunst zu entfalten in der Lage ist.
Text: Dr. Ingo Uhlig
Weitere Informationen zu Tim Cierpiszewski unter www.timcie.com