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LUKAS ZERBST: Kinderspiel

03. Juli - 02. September 2021

Auch wir können unsere Türe endlich wieder öffnen und laden herzlich ein zur Ausstellung von Lukas Zerbst, mit dem eigentlich bereits im letzten Herbst ein besonderer Akzent im Jubiläumsjahr 2020 gesetzt werden sollte.

 

Der 1988 in Polen geborene Künstler hat gerade in den letzten Jahren zunehmend mit ortsbezogenen temporären Installationen auf sich aufmerksam gemacht, die zumeist eine ausgesprochen skulpturale Qualität besitzen, sich dabei aber ganz unterschiedlicher Mittel wie Licht und Ton oder auch technischer Apparate bedienen. Indem Lukas Zerbst mit seinen Werken bevorzugt auf die jeweiligen Gegebenheiten vor Ort reagiert und sich seine spielerische Phantasie an den materiellen Bestandteilen des Ausstellungsraumes entzündet, entspricht er bestens der programmatischen Absicht der galerie januar, im Laufe der Jahre immer wieder Künstler:innen in das Hinterhaus in Langendreer einzuladen, die statt mit bereits fertigen Werken nach Bochum zu kommen, diese in Auseinandersetzung mit den drei übereinander liegenden Ausstellungsräumen allererst entwickeln.
 

Um hier pars pro toto lediglich einen der in sämtlichen Etagen vorgenommenen Eingriffe des Künstlers herauszugreifen und nicht allzu viel vorwegzunehmen: Im Obergeschoss des Galeriegebäudes hat Lukas Zerbst beispielsweise auf verblüffende, aber für ihn zugleich typische Weise in das Vorhandene eingegriffen und in dem ansonsten leer gelassenen Raum die gewohnte Deckenbeleuchtung zum eigentlichen Gegenstand der Aufmerksamkeit gemacht. Und zwar hat er dort die handelsüblichen Neonröhren, die in zwei parallelen Reihen von je drei hinter einander liegenden Röhren in der Längsrichtung des Raumes angeordnet sind, so verändert, dass vier der insgesamt sechs Leuchtkörper an jeweils einer Seite aus ihren Fassungen gesprungen zu sein scheinen und – lediglich gehalten von ihren Stromkabeln - bis in Augenhöhe von der Decke in den Raum herab hängen. Dabei ist entscheidend, dass die vier mit Hilfe eines professionellen Glasbläsers handgemachten neuen Kolben genau wie die beiden unveränderten Neonröhren in Funktion sind, das heißt leuchten, jedoch im Gegensatz zu jenen nicht mehr von gleicher Länge und erst recht nicht mehr gerade sind, sondern  unterschiedlich lang ausfallen und vor allem individuell gebogen sind. Gerade als von allen geometrischen Normen abweichende, individuell geformte Leuchtkörper kommen sie zur Geltung als Gegensätze ihrer standardisierten Ausgangselemente. Man kann ihnen zweifellos psychische Ausdrucksmomente ansinnen und zum Beispiel überlegen, ob sie dabei sind, sich von ihrem anonymen, industriellen Rahmen an der Decke zu befreien, oder ob sie, indem sie sich von der Decke herab gemeinsam zur Fensterwand des Raumes bzw. zum Treppenschacht hin ausrichten, uns als Besuchern gleichsam sanft zuneigen oder eher gefährlich entgegenkommen. Wie auch immer man solche Deutungen für berechtigt oder auch unberechtigt halten mag, in jedem Fall bilden die veränderten, von allen geometrischen Normen abweichenden, individuell geformten Leuchtkörper einen starken Gegensatz zu ihren standardisierten, anonym  industriellen Ausgangselementen, und gerade als solche auch verleiten sie den Betrachter dazu, sich im Raum sowohl hin und her und um sie herum wie sogar unter ihnen hindurch zu bewegen, um ihrer Staffelung sowie den wechselvollen Überschneidungen ihrer wellenförmigen Bewegungen im Raum inne zu werden.

 

Die Schwierigkeit, den faktischen Tatbestand der Neonskulptur auch nur annähernd zu beschreiben, ist eine Qualität des Werkes von Lukas Zerbst. Und ebendiese nicht wortfähige Qualität bekundet sich wiederum in ihrer Vielansichtigkeit. Denn es gibt keine Hauptansicht und auch keine Hierarchie innerhalb der Vielzahl möglicher Ansichten; jede Ansicht exponiert die variantenreichen Biegungen und Richtungswerte der Neonröhren jeweils anders: Wie die gebogenen Neonröhren tendenziell aus ihren geometrischen Fassungen zu sich befreit erscheinen, so sind auch wir zu immer wieder eigener Anschauungsweise, nämlich zu eigenem Sehen des Vielfältigen im Raum befreit – und damit zu einer neuen Sicht auf den gewohnten Ausstellungsraum, der uns – im Wortsinne – in neuem Licht erscheint.   
             
Lukas Zerbst lebt und arbeitet zur Zeit in Hannover. Er hat ab 2010 an der Hochschule für Künste Bremen zunächst Digitale Medien und dann Freie Kunst in der Klasse von Jean-Francois Guiton studiert, bei dem er 2017 sein Diplom mit Auszeichnung absolviert hat und zum Meisterschüler von Guiton und Jenny Kropp ernannt wurde. Für sein in den letzten Jahren entstandenes bildnerisches  Werk ist er mit zahlreichen Preisen und Stipendien ausgezeichnet worden. So erhielt er zum Beispiel 2018 den GWK Förderpreis Kunst, sodann den Bremer Förderpreis Bildende Kunst 2019, war im Frühjahr 2020 Resident an der Cité Internationale des Arts in Paris und wurde ebenfalls im vergangenen Jahr mit dem Preis des Kunstvereins Hannover ausgezeichnet und erhielt das einjährige Atelierstipendium Villa Minimo. 2020 hat er außerdem das Arbeitsstipendium des Niedersächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kultur erhalten.    

                                                                                            Text: Ulrich Fernkorn

 

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