ANKE MOORMANN: Januar im Juni
Ich springe gleich in ein Zitat. Es stammt von dem israelischen Schriftsteller Khalil Gibran und heißt: "Dein Haus ist Dein größerer
Körper... Es hat Träume, die versetzen Wände und tauchen sie in einen farbigen Schein".
Liebe Frau Moormann, schlägt das nicht verwandte Seiten bei Ihnen an? Gewiss geht diese Metapher, wie die meisten Metapher nicht
vollkommen auf und verfängt sich irgendwo zwischen Anatomie und Architektur. Aber dreht sich die Ausstellung nicht insgesamt um Häuser - und um Sie selbst? Um Ihre Träume und Erinnerungen, vom
kindlichen Schema Quadrat/Dach drauf, fertig ist das ganze Haus über die asymmetrische Doppelhaushälfte, in der Sie aufgewachsen sind, bis hin zu den nordamerikanischenHolzhäusern, denen Sie während
Ihres einjährigen Kanada-Stipendiums immer wieder gegenüber standen? Offenkundig erfährt Anke Moormann die Welt - als Innenraum wie als Außenmauer - über die Architektur. Über gebaute
Strukturen, von denen Häuser eine besonders nahe, vertraute und veränderliche Ausprägung sind. Die Ausstellung ist auf DIESEN Aspekt konzentriert. Auf Häuser, die nicht nur mit dem Auge und den
Füßen, sondern mit Empfindung, Intuition, Emotion erfahren, um- und weitergebaut, vergrößert oder vermehrt, zuschraffiert oder zugeschrieben werden.
Eine kennzeichnende Rolle spielt dabei z.B. ein Haustyp, den Anke Moormann "Aedicula" nennt. Auf Ihrer Homepage beschreibt Sie, wie Kinder sich gerne unter einem
Möbelstück, einem Tisch oder einem Stuhl, einrichten und darauf bestehen: Das ist mein Haus. Eine Decke über dem Kopf, eine geometrische Markierung ringsherum genügen, so der Text, "zur
Identitätsstiftung über die Kategorie Raum". Oder klingt ein Zentnerwort wie Identität allzu gewichtig für diese leicht- und freihändig konstruierten, dekonstruierten Modelle und bunten Entwürfe?
Doch Identität kann, folgen wir einem französischen Philosophen, auch auf Taubenfüßen daherkommen. Etwas vom kindlichen Drang zum Raum, den man sich errichtet, versetzt und mit dem man sich eins
fühlt, bewegt die Künstlerin jedenfalls heute noch. Sie schafft Räume, bestimmt Orte, an denen subjektiv Identität entsteht. Das gelbe Haus zum Beispiel im Erdgeschoss ist ein solcher Aedicula-Raum,
wo der Stuhl einen Besitz überdacht. Das Doppelhaus aus Beton im Obergeschoss gehört gleichfalls dazu. Hier ging die Künstlerin noch einmal Abmessung für Abmessung, Winkel für Winkel, Ecke für Ecke
auf die Suche nach sich selbst, nicht auf dem Plan des Architekten, sondern in der eigenen Erinnerung - erfahrene, erlebte Architektur als Baustelle für das Ich. Dass in der Gegend von Montreal, wo
Sie ein Jahr verbrachte, neben vielen Wohnhäusern, wetterfest gemacht, die zugehörigen Modelle stehen, trug als äussere Anregung gewiss bei. Vieles geht bei Anke Moormann aus dem Blick nach innen UND
außen hervor.
Im Obergeschoss breitet sich zu unseren Füßen eine abstrahierte, blockig vereinfachte, über und über grüne Dorflandschaft aus. Zwei elementare Haustypen und eine nicht weniger elementare Kirche mit
perspektivischen Verkürzungen, die als Schrägen konkret geworden sind. Eine angespannte, fast durcheinander geschüttete Räumlichkeit, verzerrte Standorte, an denen Windschiefes als Vertrautes, weich
aufgewölbte Dächer als lang Genutztes und die Kirche als Altgewohntes erscheinen.
In der Ausstellung dominieren jedoch Zeichnungen. Sie gehen zum Teil aus Hausobjekten hervor, nehmen sie aber nicht vorweg. Sie sind wahre Freihandzeichnungen und
verzichten auf jedes technische Hilfsmittel wie Lineal oder Winkel. Sie schweifen und assoziieren weiter, wo die Objekte an Grenzen stoßen. Ihr wichtigstes Werkzeug sind farbige Permanent-Marker in
verschiedener Stärke. Sie werden sowohl flächig wie linear, konstruktiv wie skriptural eingesetzt. Jede Zeichnung arbeitet in Flächen größere Bauteile aus und folgt Schreibimpulsen, die sich zu
Zeilen verdichten und zu Strukturen überlagern. Jede setzt sich aus statischem Flächenbau und fließendem Duktus zusammen. Eine apart dekorative Kombination, von perspektivischen Raumpartikeln
durchsetzt und kantig moduliert. So entsteht der Eindruck ornamentaler Vielfalt aus Blöcken und Zeilen. Hausmotive werden aufgegriffen, verstärkt und überspielt, auseinander- und zusammengelegt.
Nichts erscheint funktional korrekt, aber alles stimmt. Wenn diese Häuser, um mit Khalil Gibran zu sprechen, unsere "größeren Körper" sind, so recken und strecken sie sich. Sie klappen ihre Wände wie
Arme auf und fallen sich um den Hals. Perspektivlinien brechen ab, Fassaden verdoppeln sich spiegelbildlich nach unten, Reihen von Dachziegeln gleiten in Schriftzüge über... ein buntes
Architektur-Capriccio, an dem der Filzstift sich über Baugenehmigungen hinwegsetzt und nach eigenen Gesetzen und Rhythmen weiter macht. Manchmal ist die Schrift sogar lesbar und läuft, immer kleiner
werdend, von oben bis unten durch. Ein Rapport, der sich verdichtet, bis sich nichts mehr entziffern lässt. "Luftpolsterung" steht neben einem Haus und weist unsere Sicht auf ein weich eingedelltes
Ziegeldach ein.
Ich weiß, die Künstlerin mag nicht einmal höchst ehrenvolle Assoziationen, aber ich kann mir nicht helfen: Manchmal erinnern mich diese Architekturteppiche an
Streifengliederungen und Ornamentfelder der Stadtlandschaften des Wiener Expressionisten Egon Schiele - die sie wahrscheinlich nie gesehen hat. Mit dem Hinweis auf einen anderen architektonischen
Buntfärber und Ornamentalisten aus Österreich, Hundertwasser, würde ich mir vermutlich ihren endgültigen Unwillen zuziehen. Deshalb nehme ich diese Assoziationen wieder zurück und betone noch einmal
ihren völlig anderen Ausgangspunkt: eben nicht das Ornament, sondern die schiere Konstruktion von "Klappobjekten" aus harschen Latten mit Scharnieren, reine Raumskelette aus Linien, imaginären
Flächen und von performativer Veränderlichkeit, die IHRE authentische Erfindung sind. Ausgangspunkt ist bei Anke Moormann also ein programmierte Choreografie des Konstruktiven. Ihre "Klappobjekte"
bringen diese Raumvorstellung auf den kargsten, knappsten Nenner. Die Zeichnungen dagegen entfalten eine verwandte Grundvorstellung ins Bunte, Ausgreifende, Schweifende, rhythmisch Beschwingte und
geben der Architektur eine poetische Freiheit ins Persönliche, Subjektive über das Systematische hinaus.
Text: Manfred Schneckenburger zur Ausstellungseröffnung