DIRK SCHLICHTING: Bin gleich zurück
1999
Untergeschoss: Modelleisenbahn, Glühbirne, farbiges Licht
Erdgeschoss: verschiedene "Projektoren", Acrylglas mit Klebefilmstreifen
Als der Filmer mit seiner Kamera die Szenerie aufnahm, durch sie hindurch fuhr, tat er dies schon mit dem Wissen, sie in
ihrer Komplexität und Gleichzeitigkeit der Eindrücke nicht erfassen zu können. Er traf - ob er wollte oder nicht- zwangsläufig eine Auswahl dessen, was er fest hielt.
Ein seltsamer Vorgang fand statt: er entmaterialisierte die Dinge, sie verloren ihre Körperhaftigkeit, ihre Tiefe und ihre Gleichzeitigkeit. Es entstand eine Reihung von Bildern, die die Folge der
Dinge vorgab. Der Filmer konnte die Reihenfolge ändern, Teile daraus entfernen, eine Abfolge blieb es letztlich immer. Als der Filmer seinen fertigen Film einigen Leuten zeigte, sahen diese eine
Reihung von Bildern, die unweigerlich aufeinander aufbauten, jede Sequenz baute auf die hinterlassenen Eindrücke der vorherigen, nutzte sie, addierte wieder einen Teil hinzu und baute so eine
Athmosphäre, eine Geschichte auf. Der Filmer hatte eine komplexe Situation ihrer Dinghaftigkeit und der Gleichzeitigkeit der Dinge beraubt -und ihr eine Geschichte
gegeben.
Dirk Schlichting ist ein Filmer.
Er fotografiert Szenen, einzelne Bilder aus dem ohne Zweifel äußerst komplexen Alltagsleben ein Bahnübergang, ein Stück Landschaft, ein Fabrikgebäude, ein Wohnzimmer- und projeziert sie als riesige
Lichtbilder schwarz-weiß, verschwommen an die vier Wände eines Raumes.
Der Film beginnt: der Schatten einer Modelleisenbahn, die in der Raummitte ihre monotone Runde dreht, rauscht über die Wände: mal schnell, mal langsam, mal klein und scharf konturiert, dann wieder
groß und blass, bewegt sich dieser Schattenzug durch die Szenen, nimmt den Betrachter mit in diese immaterielle Welt, saugt ihn hinein, macht ihn zum Passagier, lässt die Bilder vorbei rauschen
Zugfenstereindrücke dann: einmal nur kurz an einen Bild verharrt, ist der Zug fort, weitergefahren, lässt den Betrachter zurück; zurück am Bahnübergang, wo andere warten vielleicht bis ein Zug
kommt...lässt den Betrachter zurück in der Fabriklandschaft, deren Einzelheiten immer deutlicher scheinen, je länger man sich in ihr bewegt, die Lampen, die Menschenlosigkeit, ein Zug, der vorbei
fährt ...oder aber in der eigentümlichen Vertrautheit des Wohnzimmers, in die das immer wiederkehrende Vorbeifahren des Zuges schon nahezu integriert scheint in verlässlichem Rhythmus wie das
Schlagen der Wohnzimmeruhr...
Der Betrachter begibt sich auf die Reise: springt auf den Zug, fährt mit, steigt
aus, steht rum guckt beobachtet belanglos, ein Zug, steigt ein. Dirk Schlichtings Film erzählt die Geschichte des Reisens. Die Geschichte des Reisens ist die erlebbare Gleichzeitigkeit der
Geschichten.
Text: Mira Schumann
Weitere Informationen zu Dirk Schlichting unter www.dirkschlichting.de