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SARA DIETRICH: rear window

22. August - 25. September 2014

Eröffnung

Freitag, 22. August 2014, 20 Uhr

Einführende Worte von Ulrich Fernkorn

 

 

Sara Dietrichs Ausstellung rear window ist spezifisch für den Ausstellungsort entstanden. Mit Hilfe weniger skulpturaler Objekte und Projektionen rückt die Künstlerin den wohnraumartigen Charakter der drei übereinander liegenden Ausstellungsräume zwischen Keller und Dach mit ihren unterschiedlichen psychischen Ausdrucksmomenten in den Blick. Dabei bleibt (wie auch sonst häufig in Dietrichs Kunst) auch die galerie januar vergleichsweise „leer“ und von den Erzeugnissen der Künstlerin vergleichsweise „unbesetzt“, so dass sich die Aufmerksamkeit umso stärker auf die vorgegebene Räumlichkeit richten kann. Auch hier beschränkt sich Sara Dietrich ganz bewusst auf Weniges, damit das Wenige nicht nur als es selbst zur Geltung kommt sondern mehr noch zum Instrument einer gesteigerten Raumwahrnehmung wird. Für eine solche gesteigerte Raumwahrnehmung spielt es bereits eine wichtige Rolle, dass das Ausstellungsgebäude – dem Wortsinne nach – in einem anderen Licht erscheint, denn Sara Dietrich verzichtet fast vollständig auf die sonst übliche Beleuchtung mit Strahlern: Ihre Ausstellung kommt beinahe mit dem durch die Fenster einfallenden natürlichen Licht aus, so dass der Blick insbesondere in und nach Einbruch der Dämmerung von Innen nach Außen gelenkt wird statt umgekehrt von Außen nach Innen.


Wer das Erdgeschoss des Galeriegebäudes betritt, sieht demgemäß im Halbdunkel des ersten Ausstellungsraumes (in der den Fenstern gegenüber liegenden Ecke) nichts als einen Kachelofen, oder genauer: ein grau gestrichenes 1:1 Modell eines Kachelofens, denn dieses hat zwar die Größe und Gestalt eines Kachelofens und weist auch dessen typische Merkmale auf, aber ist eben nicht aus Backsteinen und Keramikfliesen sondern ganz offensichtlich aus Holz gefertigt und demnach mit einem echten Kachelofen unter gar keinen Umständen zu verwechseln. Wie immer der Ofen auch zentimetergenau in die vorhandene Raumecke eingepasst ist und wie immer er mit seinen hölzernen Reliefs die Vorstellung von Ofenkacheln hervorzurufen vermag, so wenig geht es der Künstlerin offenbar um eine Täuschung im Sinne des Realismus. Und dennoch kann und soll auch das maßstabsgerechte hölzerne Modell eines Kachelofens dazu führen, dass der eigentlich kühle und auch anonym wirkende Ausstellungsraum gleichsam wohnliche Qualitäten annimmt und der Besucher ihm psychische Ausdrucksmomente von Wärme und Behaglichkeit ansinnt. Dabei entspricht es durchaus den Absichten der Künstlerin, wenn der Besucher vor dem Kachelofen nicht nur als passiver Beschauer stille steht sondern diesen auch benutzt, das heißt sich auch auf der umlaufenden Sitzbank tatsächlich niederlässt, um von dort den gewohnten Galerieraum neu und anders zu erfahren.


Gerade vom Kachelofen aus kann der Blick des Besuchers durch das geöffnete Fenster auf den benachbarten Spielplatz fallen wie ebenso auf die beiden anderen, gegenüberliegenden Fenster als einer Verbindung zwischen Innen und Außen. Und gerade auch vom Kachelofen aus kann der eingezäunte Außenbereich des Hofes vor dem Fenster gewissermaßen als ein Refugium evident werden, in dem sich das Bedürfnis nach behaglicher Wärme aus dem Heim nach draußen verlagert hat: Denn man sieht dort neben Blumenrabatten zum Beispiel einen plätschernden Brunnen und einen weiteren, diesmal offenen Kamin. Ein kleinbürgerliches Wohnidyll im Vorgarten oder doch auch ein abgegrenzter Ort der Privatheit, der sich gegen den Blick von außen möglichst abschottet? An dem man nicht unbedingt gesehen werden will und doch vielfach von umliegenden, höher gelegenen Fenstern aus beobachtet werden kann? Sara Dietrichs Kachelofen im Erdgeschoss beschwört solche Fragen herauf, wobei die Künstlerin solchen und ähnlichen Assoziationen nicht zuletzt Vorschub geleistet hat dadurch, dass sie ihre Ausstellung mit dem englischen „rear window“ betitelt hat, das heißt also mit dem im Deutschen als „Fenster zum Hof“ bekannten Filmtitel des Hitchcock Klassikers mit James Stewart und Grace Kelly in den Hauptrollen. In dem us-amerikanischen Thriller aus dem Jahr 1954 spielt Stewart den Fotojournalisten Jeff, der nach einem Unfall wegen eines Gipsbeins auf den Rollstuhl angewiesen ist und von seinem Fenster aus das alltägliche Geschehen im Hinterhof seiner Apartmentanlage beobachtet, zunächst mit einem Fernglas und dann auch mit dem Teleobjektiv seiner Kamera, mit denen er in einer der gegenüber liegenden Wohnungen Indizien für eine Mord entdeckt zu haben glaubt. Der dramaturgisch perfekte Spannungsfilm, der mit Ausnahme einer einzigen Szene in nur einem Raum spielt, dessen eigentliche Bühne für die Augenlust des Fotografen wie auch für den Voyeurismus des Zuschauers aber der Hinterhof ist, bildet für Sarah Dietrich die gleichsam unterschwellige Folie oder den losen Bezugspunkt ihrer künstlerischen Raumerkundung.


Steigt man die steile Treppe in den Keller des Galeriehauses hinab, so betritt man einen – bis auf die gewohnten Heizkörper und die Therme an der Wand – völlig leeren Raum, der allerdings weitgehend im Dunkeln bleibt, indem er lediglich von einer (an der gegenüber liegenden Stirnwand knapp über dem Boden befindlichen) Lichtquelle spärlich beleuchtet wird. Erst wer sich im Dunkeln und von der Treppe aus vorsichtig weiter in den Raum hinein wagt und auf die Lichtquelle zubewegt, wird merken, dass es sich bei ihr um das Projektionslicht eines Beamers handelt, der seine filmischen Bilder passgenau auf den Wandabschnitt unterhalb der Treppenstufen wirft. Und zwar sieht man dort ein Rinnsal, das zunächst wie von oben an der Wand herabläuft. Das Wasser, das sich unten am Boden sammelt, steigt mit zunehmender Dauer langsam immer höher, um schließlich die gesamte Wandfläche bis zur Decke auszufüllen. Die als 5-Minuten-Loop gezeigten Bilder erzeugen unweigerlich den bedrohlichen Eindruck, dass der Keller, in dem man sich angesichts der Projektion befindet, vom Wasser überschwemmt wird und wie ein räumlicher Behälter bis oben vollläuft. Selbstverständlich sieht man die filmischen Bilder Sara Dietrichs in dem anhaltenden Bewusstsein, dass sich die Überschwemmung des Kellers nicht tatsächlich sondern lediglich als Illusion ereignet, das heißt im Modus des Als-Ob und damit in der sicheren Gewissheit des Betrachters, vom ansteigenden Wasser der filmischen Bilder nur imaginär, nicht aber als Person betroffen zu sein: Niemand wird angesichts des steigenden Wasserpegels befürchten, die rettende Treppe nach oben nicht rechtzeitig erreichen und der drohenden Gefahr nicht mehr entkommen zu können. Und doch zielt die Videoinstallation auf solche Gefühle der Beklemmung. Und es erhöht zweifelsohne die Ausdrucksmacht und das Suggestive der auf die Wand projizierten Bilder, dass sie sich an diesem Ort mit der tatsächlich vorhandenen Feuchtigkeit des Kellerraums zu einer körperlich unmittelbar spürbaren Atmosphäre der Gefährdung und des Unheimlichen verbinden. Eben in der Nähe zwischen erzeugter Illusion und den vorgefundenen Merkmalen des Ausstellungsortes zündet sozusagen der Funken der Poesie von Sara Dietrichs Kunst und bekundet sich zugleich die besondere Sensibilität der Künstlerin in ihrer Raumwahrnehmung.


Wie sollte man sich beim tastenden Aufstieg aus dem Dunkel des Kellers und dem Gang die Treppe hinauf ins Obergeschoss nicht sofort leichter fühlen und gleichsam aufatmen? Der Raum unter dem Dach ist von anderem Charakter. Zwar bleibt auch dieser relativ dunkel, nämlich ohne hellere Beleuchtung, und doch scheint er (im Gegensatz zum Keller und dem Erdgeschoss) noch am ehesten den gängigen Erwartungen an einen Ausstellungsraum zu entsprechen: Denn dort sieht man an den Wänden fünf ungerahmte, mit Fotoklammern lose aufgehängte Schwarz-Weiss-Abzüge und im hinteren Raumbereich vor der rückwärtigen Schmalseite des Raumes ein einziges, über Eck gestelltes, grau gestrichenes Holzobjekt, das bis in Brusthöhe aufragt und die Aufmerksamkeit als erstes auf sich zieht. Man könnte vielleicht von einem Möbel in der Art eines Hochtisches auf vier Beinen sprechen oder auch von einer Vitrine. Aber auch dieser Begriff ist nur eine unzureichende Notbezeichnung, denn es handelt sich nicht eigentlich um einen Schaukasten, sondern ganz im Gegenteil um einen Kasten, der oben wie auch an den Seiten verschlossen ist. Erst wenn sich der Betrachter gänzlich um das merkwürdige Holzobjekt herum bewegt, kann er entdecken, dass die rückseitige Ecke des kastenförmigen Aufsatzes durch einen mit Acrylglas versehenen Würfel gebildet ist und so entgegen dem Eindruck des Verschlossenen, den der Blick von vorne oder von den Seiten auf das Möbel suggeriert, doch noch einen kleinen Einblick ins Innere des Kastens erlaubt. Und zwar sieht man auf den zwei innenliegenden, gewinkelten Seiten des Acrylglaswürfels eine als Rückprojektion ablaufende Folge fotografischer Schwarz-Weiss-Bilder, die einander in der Form einer Diashow ablösen.


Man muss zu dieser Art Guckkasten schon ziemlich nahe herantreten und sich auch leicht herabbeugen, um zu erkennen, was es mit den einander ablösenden Fotos auf sich hat: Sara Dietrich zeigt in ihnen aus der Nahsicht und en detail, was die Fotografien an den Wänden aus größerer Distanz und im Überblick ebenfalls vergegenwärtigen: nämlich die Ansichten typischer Hinterhoffassaden, wie man sie fast überall im städtischen Raum finden kann. Man sieht Fensteröffnungen, Erker, Balkone und Terrassen, das heißt vor allem Übergänge vom privaten Innenraum zum öffentlichen Raum. Sowohl im Einzelnen wie im Ganzen kann man auf den menschenleeren Fotografien Sara Dietrichs entdecken, wie der Mensch an den prekären Schwellenorten seiner Wohnwelt hinaus ins Freie strebt und mit welchen Mitteln er dabei zugleich die Privatheit vor den zudringlichen Blicken seiner Nachbarn schützen will.


Sowohl die fotografischen Nahaufnahmen der Rückprojektion wie auch die querformatigen Überblicke an der Wand zeigen die Zonen des Übergangs von privatem zu öffentlichem Raum und fordern unsere neugierigen Blicke stets aufs Neue heraus, insbesondere mit ihrem spannungsvollen Gegensatz zwischen Öffnungen, die Einblicke freigeben, und verschiedenen Formen von Sichtschranken, die Einblicke stark beschränken oder ganz verhindern, wie sie beispielsweise durch herunter gelassene Rolladen, Markisen, aufgespannte Schirme oder Ähnliches gegeben sind. Dabei gehört es zu den unbestreitbaren Vorzügen der im Obergeschoss ausgestellten Werke von Sara Dietrich, dass sich in ihnen nicht nur derjenige voyeuristische Blick spiegelt, mit dem wir im Kino auch dem Fotografen Jeff in Hitchcocks „Fenster zum Hof“ zuschauen, sondern dass sich darüber hinaus draußen vor den Fenstern des Galeriegebäudes stellenweise ebensolche Hinterhoffassaden befinden, wie sie Sara Dietrichs Kamera erfasst hat. In eben dem Maße, in dem sich Dietrichs Fotografien im Obergeschoss der Ausstellung und der Blick aus dem Obergeschoss heraus ähneln, in eben dem Maße kann und soll auch dem Sehen der Kunst ein verändertes Sehen der Realität nachfolgen.
 

Text: Ulrich Fernkorn

 

 

Weitere Informationen zu Sara Dietrich finden Sie unter http://www.klasseloebbert.de

 

 

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